Ich denke ein differenzierter Blick auf den Comicmarkt heute und früher wäre sinnvoll, bevor man pauschal sagt, dem Comicmarkt geht es „gut“ oder „schlecht“.
Sieht man sich die Top-100 der in Frankobelgien erschienen Titel an (hier verweise ich mal auf die Jahreslistung von bdgest), so kann man feststellen, dass allein 2014, 81 der 100 dort gelisteten Titel auf dem dt. Markt erschienen sind (weitere mögen sogar noch dazu kommen) auch wenn man die anderen Jahre betrachtet kann man generell feststellen, dass mehr als ¾ des jährlichen Outputs an Top-Serien in D erscheint.
Von der Vielfalt (frankobelgier) her leben wir derzeit also schon mal in Goldenen Zeiten. Die gab es früher in dieser Kontinuität nicht!
Richtig ist wohl, dass die Verkäufe vieler Top-Seller im Laufe der Jahre zurückgegangen sind.
Als Beispiel nehme ich mal Spirou und Fantasio.
Richtig ist aber auch, dass fast jede! Serie, die im Laufe der Jahre Fortsetzungen generiert, mit jedem neuen Titel Käufer verliert, umso so sicherer, wenn sie denn bei über 50 Bänden angekommen ist (und da sind sie Spezialbände bei Spirou noch gar nicht mitgerechnet).
Das heisst aber nicht, dass da ein Markt „einbricht“ (oder kleiner wird), zumal Titel, die sich in den 80er und frühen 90er Jahren sehr gut verkauft haben, ganz sicher nicht dem Wettbewerb dieser Vielzahl verschiedener Titel von heute ausgesetzt waren.
Nur, weil ein Kunde heute vielleicht keine große Titelserie mehr kauft, heisst das im Gegenzug ja nicht, dass er gar keinen Comic mehr erwirbt, sondern möglicherweise nur andere Titel.
Richtig ist auch, dass in den 80ern und 90ern größere Auflagen per se gedruckt wurden, dass hatte zum einen etwas mit den Marktteilnehmern (und ihren Kalkulationen) aber auch mit der Produktion zu tun.
Wieviel von der Auflage dann tatsächlich verkauft wurde, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Der Denkfehler scheint mir, dass bis heute immer von der reinen Druckauflage auf Verkaufszahlen geschlossen wird. Man erinnere sich nur an die riesigen Mengen von Altpapier des Splitter-Alt Verlages, die regelmäßig in Erlangen zum Comicsalon auftauchten und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Hunderte abgebrochenen Serien ein anderes.
Vielleicht sollte man in Betracht ziehen, dass die kleineren Auflagenmengen auch eine realistischere und gesündere Situation des Marktes widerspiegeln, auch dank der nun verbesserten Produktionsparameter und den geänderten Kostenstrukturen.
Es ist richtig, dass es heute mehr Wettbewerber, sprich Verleger gibt, dank der schon angesprochenen veränderten Produktionsbedingungen, dass heisst aber eben auch, dass heute quantitativ mehr Alben für den Markt hergestellt werden, die sich auch tatsächlich verkaufen lassen. Die Auswahl an Serien an sich ist lediglich größer geworden und damit für den Kunden wirklich goldene Zeiten angebrochen.
Auch der Fachhandel profitiert davon, wenn er sich entsprechend aufstellt.
Ein Problem scheint mit zu sein, dass es zu Beginn recht einfach war einen Fachhandel zu führen.
Ein Händler hat es mir mal so beschrieben.
„Da habe ich in den 80ern einfach mal 200 neue Spirou-Alben und 100 neue Yoku-Tsuno Alben auf den Auslagentisch gelegt und innerhalb von 2-3 Wochen waren die weg.
Sprich der Händler hat mit wenig Aufwand und wenig Platz einen maximalen Umsatz erzielt.
Heute muss er, um diesen Umsatz zu erzielen 20-40 Serien auf den Tisch legen.
Andererseits kann er nun aber auch 60 Serien/Titel anbieten und ein viel breiteres Kundenpublikum erreichen und theortisch einen viel höheren Umsatz erwirtschaften.
Der Kunde wiederum hat nichts vom Angebot, wenn er die Titel nicht vorfindet, weil die entsprechende Infrastruktur (Platz) nicht da ist.
Insofern boomt der Markt für einige Händler (Stichwort Nürnberg) für andere weniger.
Fakt ist aber leider auch, dass der Comic trotz aller Marketingmaßnahmen wie der „Graphic Novel“ & Co immer noch sehr schwer einen Fuss in den Buchhandel bekommt.
Hier gäbe es in der Tat noch ein enormes Wachstum, gemessen am heutigen Stand der Dinge.
Bitte nicht falsch verstehen, damit meine ich nicht den Massenmarkt der Belletristik.
Ich spreche vielleicht von einer Verdoppelung oder max. Verdreifachung (ausgehend von jetzt 1000 bis 2000 Stück) für Teile der Standardserien jenseits eines Asterix/Spirou/Lucky Luke oder Tim).
Für den Comicverlag (jenseits der Konzerne) wäre das dann gesundes Business.
Daher wäre jeglicher Kisokversuch auch für die Frankobelgier zum scheitern verurteilt (schon wegen der Grundkalkulation), wichtiger wäre es die „Literatur-Wand“ der Buchhändlerinnen als Schnittstelle zum Buchhandel zu erschüttern und entsprechende Vertriebswege zu entwickeln.
Das wäre ein Ansatz, leider seit Jahren nicht so erfolgreich, wie man sich das wünschen würde.
Kurzum, es stellt sich die Frage, ob tatsächlich die heutigen Verlage und ihr Programm für den „angeblichen immer kleineren Markt“ verantwortlich sind oder nicht auch die „Infrastruktur“ einen maßgeblichen Anteil dafür hat, dass der Markt nicht im größeren Maße wächst.
Ein hausgemachtes Problem der Verlage sehe ich derzeit aber schon.
Nämlich die Versuchung über die leichter zu kalkulierenden Gesamtausgaben und vor allem durch „Luxusausgaben“ Einnahmen zu erzielen, die kurzfristig gute Gewinne abwerfen mögen, aber mittel- und langfristig zu einer Kaufkraftbindung beim Kunden führen werden, die zu Lasten der Vielfalt des jetzigen Angebots gehen wird. Der Markt besteht zwar nicht nur aus Sammlern, aber so mancher Kunde kauft eben doch beides, neue Serien und altes in bibliophiler Neuedition.
Und da ist das Budget nun mal endlich. Das ist aber eine Momentaufnahme, wie sich dieses Phänomen in den kommenden Jahren entwickeln wird, bleibt abzuwarten, auch weil nicht jede Serie als Gesamtausgabe zu kalkulieren ist.
Insofern warte ich schon auf den Abbruch der ersten Gesamtausgabe in D
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